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Sluis, Nelly

BIOGRAFIE

Ich bin Nelly Sluis und ich bin 1927 in Amersfoort geboren, im Leusderkwartier. Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder und ich war 13 als der Krieg ausbrach. Das war beängstigend.

Von dort wo wir wohnten, sah man die Leute ins Lager gehen. Sie schlürften vorbei. Aber du hattest keine Ahnung von dem was sie zu erwarten hatten. Ich hatte auch keine Ahnung was mit den Juden geschah. Ich bin nach der Hauptschule arbeiten gegangen, erst im Haushalt und dann in der Nähwerkstatt der jüdischen Familie Nabarro. Dort arbeitete auch ein jüdisches Mädchen, Ruth, und irgendwann sagte sie zu uns: „Wir müssen uns melden. Wir gehen vielleicht nach Westerbork und werden dort arbeiten müssen. Nun, ich habe zwei gesunde Hände am Körper und ich schreibe euch. Aber dann müsst ihr alle auch einmal zurückschreiben, he.“ Ruth ist weggegangen und wir haben nie wieder etwas von ihr gehört.

Ich habe danach noch im Atelier von May & Co. auf dem Zuidsingel gearbeitet und als das auch schloss, wurde ich vom Arbeitsamt mit sechs anderen Mädchen zur Kaserne am Leusderweg geschickt. Ich wollte nicht, hatte Angst, dass jeder denken würde, dass ich ein „Moffen-Mädchen“ sei, aber du konntest nicht verweigern. Es war Herbst 1944. Wir waren vielleicht zwei Monate dort, bis die Kaserne geräumt wurde und die Soldaten nach Utrecht mussten. Das Arbeitsamt hat uns damals zum Lager geschickt. Dort wurden wir in einer getrennten Baracke an die Arbeit gesetzt. Wie auch in der Kaserne machten wir hier Näh- und Flickarbeiten. Wir konnten von unserer Baracke aus die Gefangenen sehen. Es war schrecklich. Kotälla lief da auch mit seiner Freundin und seinem Hund. Ich glaube, dass wir dort höchstens acht Wochen gearbeitet haben. Wir meldeten uns morgens mit dieser Gruppe von sieben Mädchen an der Schranke und wenn die Schranke hinter uns zuging, hatte ich immer Angst, dass ich nicht mehr herauskommen würde, dass sie mich festhalten würden. Und einmal hatte ich wahnsinnige Angst davor. Das war als ich außerhalb der Baracke eine Garnrolle fallen ließ. An dem Moment, an dem ich es aufheben wollte, wurde über meinen Kopf hinweg geschossen und ich musste beim Lagerkommandanten erzählen was ich da aufgehoben hatte. Damals stand ich echt zu zittern.

Fotos – von oben nach unten: Familie Sluis v.l.n.r. Emmy, Thea, Nelly, Corrie 1934 – 5. Klasse 1937- Porträt 1943

Sluis, Nelly, geboren in 1927 erzählt eine Geschichte:

Unsere Familie durfte zuerst evakuieren, weil mein Vater bei der Bahn arbeitete. Man hörte schon überall Schüsse, aber auf dem Bahnhof angekommen, wurden wir wieder nach Hause geschickt, weil der Zug nicht kam. Wir haben diese Nacht mit der ganzen Familie im Wohnzimmer auf dem Boden biwakiert. Am nächsten Tag fuhr der Zug wieder und damals sind wir weggezogen. Das war das erste Mal, dass ich meinen Vater weinen sah. Er musste wegen seiner Arbeit bei der Bahn nämlich Zuhause bleiben und er musste meine Mutter mit vier Kindern alleine gehen lassen. Du weißt zu diesem Zeitpunkt nicht, ob man sich wieder sieht. Du hattest keinen Kontakt, es gab kein Telefon. Aber glücklicherweise hat es nur kurz gedauert und durften wir auch wieder als Erste zurück nach Hause.

Sluis, Nelly, geboren in 1927 erzählt eine Geschichte:

An dem Tag als der Bahnstreik ausbrach, 17. September 1944, hatte mein Vater einen freien Tag und am nächsten Tag ist er auch Zuhause geblieben. Der Zugverkehr lag noch immer still und mein Vater schloss sich bei dem Streik an. Aber damals hatte er Angst, dass wenn die Deutschen bei uns schauen würden, sie seine Uniform finden würden und also wissen würden, dass er auch streikte. Jetzt würdest du sagen: „Verbrenn die Uniform“, aber das kam dir damals nicht in deinen Kopf. Du musstest vorsichtig sein mit dieser Uniform. Darum habe ich Bekannte die eine Straße weiter wohnten gefragt ob sie diese Uniform für meinen Vater bewahren wollten. Das wollten sie schon, bis deutlich wurde, dass der Streik andauern würde und sie Angst vor den Risiken hatten, die sie mit dieser Uniform liefen. Darum kam die Uniform zurück zu uns und ich weiß eigentlich nicht, was mein Vater damals damit gemacht hat.

Sluis, Nelly, geboren in 1927 erzählt eine Geschichte:

Die Verhoevenstraat, wo wir wohnten, ist eine Seitenstraße vom Kapelweg und als wir nach der Evakuierung zurückkamen, lag dort ein totes Pferd. Alle Türen der Häuser standen offen, man sah überall freilaufende Hunde, Katzen, Hühner und Kaninchen und alles war verlassen. Wir waren als erste zurück und haben damals so viel wie möglich von diesen Kaninchen in unserer Scheune gesammelt. Zu jedem der zurückkam sagten wir, dass sie ihr Kaninchen bei uns abholen konnten, aber wir hatten noch ein paar übrig. Mein Vater hat ein paar davon geschlachtet, das war für uns eine Königsmahlzeit, denn es wurde natürlich immer schlechter und das Essen ging auf Ration.

Sluis, Nelly, geboren in 1927 erzählt eine Geschichte:

Der letzte Tag den wir dort waren, war der Tag an dem sie aus, das hatten wir hinterher gehört, das wussten wir damals überhaupt noch nicht, dass die Leute aus Rotterdam die noch nicht gepackt wurden, dass die nach Amersfoort mussten und die sind alle, damals gingen sie ins Lager rein. Und damals standen wir dort zu schauen, waren sehr erstaunt, es gab damals kein Fernsehen oder Radio, wir wussten es damals auch überhaupt nicht, wo kamen die Leute her? Aber wir wussten, dass sie dort hineingingen, und dann war da ein Mann und der gab einer von uns seine Adresse und sagte: „Sag dass ich hier bin und dass ich in Amersfoort bin“, und manche schrieben etwas auf und die Schranke ging zu. Und damals sagte ich goh joh, sie beachten dich gar nicht, er hatte eine Tasche oder sowas dabei, und ich sagte setze die Tasche ab du kommst zu mir nach Hause, mach schon und geh mit mir mit, und er gab mir einen Arm und direkt gegenüber dem Lager, das ist jetzt anders, hatte man den Kapelweg, wir liefen da also ruhig eh, und er war so nervös, er sagte nichts, er war so nervös und schaute ein bisschen um sich hin, sah er einen Deutschen auf dem Fahrrad ankommen dachte er: Oh, das war‘s jetzt, und sage zu, weiß nicht wie sie hieß, seine Freundin, dass ich sie immer geliebt habe und grüße meine Mutter, und ich sagte: joh, tu nicht so dumm, und der Deutsche radelte einfach weiter, der hatte überhaupt nichts bemerkt. Dann kam ich Zuhause mit diesem Jan an, hinterher schien er Jan Teers zu sein, und meine Mutter hat echt nicht gejubelt, die hatte genug an uns, um uns Essen zu geben, und sie hatte keine Lust auf noch jemanden, aber gut, er ist dann bei uns geblieben, damals sagte er abends, ja es gibt natürlich nicht viel zu essen, aber er habe Geld. Damals sagte er, ob ich nicht wüsste wo man Fleisch kaufen könne, und ich dachte damals, der Vater von Tonnie hat das. Nun, was er dafür bezahlt hat weiß ich nicht, aber es wird sehr viel gewesen sein. Nun und abends aßen wir Fleisch. Und wir wurden alle nach und nach sehr krank, denn das waren wir überhaupt nicht mehr gewöhnt, um irgendwas mit Fleisch zu essen.

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